Aktueller Futterrat vom 05.08.2020

Füttern nicht Heizen

Natürliche Phänomene

Rinder leben überall auf der Welt, sogar mitten in der arabischen Wüste oder hoch im kühlen Norden Skandinaviens. Hitze oder Kälte scheint ihnen wenig auszumachen. In Millionen von Jahren Evolution und über 10.000 Jahren Domestikation haben die Wiederkäuer unzählige Klimaperioden überstanden. Wie viele gleichwarme Tiere verfügen auch die Rinder über Mechanismen der Thermoregulation. Sie versuchen überschüssige oder fehlende Wärme durch Wärmeaufnahme bzw. -abgabe aus der Umwelt auszugleichen. Rinder fühlen sich in einem Temperaturbereich von 15 bis minus 15°C am wohlsten. Hier können sie über die Hautdurchblutung den Wärmehaushalt regulieren. Bei lang anhaltenden Wärmeperioden von über 25°C gelingt es den Kühen immer weniger die überschüssige Wärme über die Haut abzustrahlen. Die Wärme muss zunehmend über Verdunstung durch Schwitzen und Atmen abgegeben werden. Das Problem ist: Wiederkäuer sind per se schlechte Futterverwerter und provozieren, insbesondere bei steigenden Fasergehalten im Futter, durch ihre Stoffumsetzungen in den Vormägen viel Wärme. Mit steigender Leistung muss die Verdaulichkeit der Nährstoffe zwar steigen und die Wärmeerzeugung je Produkteinheit sinkt, je Kuh nimmt die Wärmebelastung jedoch deutlich zu. Die Kühe reagieren sofort mit einer Begrenzung der Futteraufnahme und dem Herausselektieren von Grobfutter. Der Stress wird verstärkt, wenn neben der grenzwertigen Thermoregulation Sozialstress (z.B. Rangkämpfe, Überbelegungen, Krankheiten, Brunst, enges Fress-Tierplatz-Verhältnis), Leistungsstress (z.B. NEB, hohe Melkfrequenz, oxydativer Stress) und / oder Bewirtschaftungsstress (z.B. Tierumstellungen, Transporte, Klauenpflege, Behandlungen, Tränkwasserzugang, Fliegenbefall) die Nutztiere belasten.

Zunächt ein Problem der Haltung

Die wichtigsten Einflussfaktoren sind neben der Temperatur die Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung und Wind, wobei Temperatur und Feuchte bei Stallhaltung die wichtigsten sind. Von Bedeutung ist, dass kritische Temperaturen nicht konstant sind, sondern sich situationsbedingt ändern können. So sind Tiere zum Beispiel in Abhängigkeit von Leistung, Genetik und Alter unterschiedlich empfindlich. Insbesondere ist bei der Betrachtung von Hitzestress zu berücksichtigen, dass für die unterschiedlichen Klimazonen unterschiedliche Grenzwerte für Hitzestress gelten. So wurden in amerikanischen Publikationen Temperatur-Luftfeuchte-Indizes über 72 (25 °C bei 55 % relativer Luftfeuchte) als moderater Hitzestress beschrieben. Jüngerer Untersuchungen aus Deutschland zeigen jedoch, dass Hitzestress schon bei Temperatur-Luftfeuchte-Indizes von 60 (16 °C bei 55 % relativer Luftfeuchte) einsetzt und mit einem Rückgang von Futteraufnahme und Milchleistung zu rechnen ist. Die Übertragbarkeit von Daten aus internationalen Publikationen ist also nicht immer ohne weiteres gegeben und alleine die klimatischen Verhältnisse sagen noch nichts über Hitzestress aus. Es ist immer die Reaktion des Tieres zu berücksichtigen. Folgende Anzeichen können auf Hitzestress zurückzuführen sein:

 

  • reduzierte Bewegungsaktivität / weniger Futtertischbesuche
  • reduzierte Futteraufnahme (4-6 kg TM)
  • Verschlechterung der Kotkonsistenz (u.a. durch verringerte Faseraufnahme)
  • deutlich erhöhte Wasseraufnahme (+ 5 l / kg TM Futter bei > 25 °C bzw. + 3-5 l / °C)
  • Rückgang von Milchleistung (minus 3-4 kg) und Milchinhaltsstoffen (minus ~0,5 %-Punkte)
  • vermehrtes Stehen (Stehen:Liegen = 2:1)
  • Anstieg der Körpertemperatur (rektal > 39ºC)
  • vermehrte Maulatmung und erhöhte Atemfrequenz (von 30 ► 80 / min)
  • deutlich verringerte Brunstintensität (häufig nur in den Abendstunden, unter Umständen azyklisch bis in den Herbst)
  • vermehrt Geburtsprobleme (mehr Totgeburten, geringer Geburtsgewichte, häufigerer embryonaler Frühtod)
  • schlechtere Kolostrumqualität
  • Schwächung des Immunsystems
  • Anstieg der Zellzahl der Milch

Strukturfutter ausbremsen

Die Verdauung faserreicher Futtermittel setzt mehr Wärme frei, als die Verdauung von Kraftfutter. So reduzieren die Tiere (sofern sie die Möglichkeit haben) gezielt die Grobfutteraufnahme. Wenn keine Selektion möglich ist, wird die Gesamtfutteraufnahme gedrosselt. Strukturfutter sollte in TMR-Mischungen dehalb restriktiv verwendet werden. Die Fütterung gleicht dann eher einer Ansatzfütterung (Mastration) als der üblichen Umsatzfütterung (Milchration). Gerade im Sommer sollte nur bestes rohfaserarmes Grobfutter eingesetzt werden. Es müssen überwiegend Grobfuttermittel eingesetzt werden, welche nicht mehr als 40 % Wärmeverluste provozieren. Dies kann durch die Differenz von Umsetzbarer Energie (MJ ME) und Netto-Energie-Laktation (MJ NEL) grob überschlagen werden. Auf faserreiches Heu oder Stroh sollte möglichst verzichtet werden. Es muss zielgerichtet an die untere Grenze von 350 - 400 g strukturwirksame Rohfaser je 100 kg Körpermasse herangefüttert und ggf. mit Pansenpuffersubstanzen unterstützt werden. Zur Unterstützung der Strukturwirksamkeit können pektinreiche Futtermittel, wie Rüben und deren Produkte, eingesetzt werden. Bei Hitzestress ist oft auch mit metabolischer Acidose zu rechnen. Dies ist einerseits durch die Depression der Strukturaufnahme und das falsche Gegensteuern mit Kraftfutter bei Milchleistungsabfall und andererseits durch verstärkten Verlust an Puffersubstanzen wie Natriumbicarbonat über Schweiß und Harn begründet. Zu beachten ist auch, dass die Acidosegefahr nach Beendigung einer Hitzeperiode nicht vorbei ist. Oft steigen die Futteraufnahme und damit die Säurebildung in den Vormägen bei sinkenden Temperaturen sprunghaft an. Hier ist eine Übergangsfütterung zur Adaptation an die veränderte Aktivität des Pansenstoffwechsels angebracht. Insbespondere bei Transponder- und/oder Melkstandfütterung muss die Kraftfuttermenge gezielt verringert werden, da die Aufnahme der faserhaltigen Futtermittel sinkt (siehe oben) und die des Kraftfutters meist nicht. Bei TMR-Fütterung ist daher dafür zu sorgen, dass die Futterselektion minimiert wird. Jeder Bissen muss unter Beachtung der Grundfutterqualität (siehe oben) ausreichend strukturwirksame Faser enthalten. Hier kann man TMR durchaus etwas stärker Vermusen (s.a. Kompakt-TMR) und den Wassergehalt der Ration erhöhen (bis 40 % TM).

Mehr in den Darm füttern

Die Kenntnis über die Wirkung von Einzelfuttermitteln ist zur „Hohen Schule“ der Milchkuhfütterung geworden. In Hitzeperioden sollte der Pansen, entgegen der sonstigen Forderung, eher unterfordert werden. Das heißt der Anteil an Durchflussnährstoffen (pansengeschützte Fette (300-500 g/Tier/Tag), geschützte Proteinkonzentrate, Körnermais statt Getreidestärke (bis zu 1,2 kg beständige Sträke /Tier/Tag) sollte erhöht werden, um die wärmeproduzierende Mikrobentätigkeit in den Vormägen zu begrenzen. Der Einsatz von Eiweißfuttermitteln mit einem hohen Anteil an Durchflussprotein entlastet zusätzlich die Leber, da weniger Ammoniak anflutet. Da Fette die höchste Energiedichte aller Futtermittel besitzen, 1 kg liefert durchschnittlich 19 (z.B. calciumverseifte Fette) bis 26 MJ NEL (z.B. fraktionierte Fette), ist es für die energetische Aufwertung von Futterrationen für Hochleistungskühe besonders interessant. Zudem reduziert der Einsatz pansengeschützter Fette nicht nur die Fermentationswärme. Auch die Wärmeverluste im Stoffwechsel sind bei Fett deutlich geringer, als bei Kohlenhydraten. Da ungeschützte Fette ab ca 800 g je Kuh und Tag zu Fermentationsstörungen in den Vormägen führen, sollten geschützte Fette eingesetzt werden. Bei der Gabe von geschütztem Fett kann die Gesamtfettaufnahme auf bis 1.600 g (davon 50 % geschützt) gesteigert werden. Diese Grenze sollte jedoch in der Sommerfütterung nicht pragmatisch ausgereizt werden. Die Futteraufnahme muss besonders beobachtet werden, da die Futteraufnahmeregulation beim Milchrind stark lipostatisch gesteuert wird. Das heißt der Spiegel freier Fettsäure im Blut spielt eine wichtige Rolle bei der Begrenzung der Futteraufnahme und eine Überdosierung von Fett kann hier kontraproduktiv wirken. In der Praxis haben sich Gaben von 1,5 bis 2 % pansengeschützter Fette in der Trockenbsubstanz oder 300 – 500 g pro Tier und Tag als sicher bewährt. Im Hinblick auf die Konditionierung der Tiere ist zu berücksichtigen, dass der überwiegende Teil der Fettsäuren im Blut zwar aus dem Pansenstoffwechsel stammt, überkonditionierte Kühe und Kühe, die aufgrund der einschränkten Futteraufnahme Körperfettreserven einschmelzen, aber immer einen höheren Blutfettsäurespiegel haben und daher weniger fressen. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist 1. alle Maßnahmen zu ergreifen, eine ausreichende Futteraufnahme sicherzustellen und 2. Kühe optimal konditioniert in den Sommer zu bringen.

Darbietung auf Sommer umstellen

Neben der Entlastung des Pansens, ist auch das (Fütterungs-) Management an die Hitzestressituation azupassen. Vielfältig zusammengesetzte Rationen werden oft besser gefressen als Monodiäten. Neben der Überlagerung von sensorischen Mängeln sind insbesondere die futtermittelspezifisch unterschiedlichen Abbaugeschwindigkeiten der Nährstoffe in den Vormägen dafür verantwortlich. Die Gesamtration sollte nicht mehr als 50 % Trockenmasse aufweisen. Eine Wasserzugabe zur Futtermischung ist grundsätzlich möglich. Es ist aber zu berücksichtigen, dass dies „leeres“ Wasser ist, welches nicht mit dem Zellsaft der pflanzlichen Futtermittel gleichzusetzen ist. Insbesondere die geringen Säuremengen, welche in trocknen Silagen vorhanden sind, reichen nicht aus, um den pH-Wert im sauren Bereich zu halten. Die Futteraufnahme und die aerobe Stabilität der Futtermischung sinken. Nacherwärmte Silagen bzw. Futtermischungen sind grundsätzlich zu vermeiden, da sie schlecht gefressen werden und die Wärmeregulation der Kuh weiter belasten. Außerdem ist bei der Zubrereitung der TMR auf hohe Misch- und Verteilgenauigkeit zu achten, da die Tiere, wie bereitsc erwähnt, selektieren um die Grobfutteraufnahme zu reduzieren.  Wichtig für die Futtervorlage, in den Sommermonaten nimmt die Milchkuh bis zu 2/3 des Futters in den Nachstunden auf. Um dies zu berücksichtigen, dürfen insbesondere in den Abend- und Nachtstunden die Futtertröge niemals leer sein. Die Bereitstellung frischer Silage bzw TMR ohne Zwischenlagerung aus dem Silo, die Restfutterbeseitigung und die Trogreinigung sollte daher am Abend erfolgen. Dies ist auch schon deshalb sinnvoll, da die aeroben Veränderungen in der Futterkrippe am Tag deutlich höher sind als in den kühleren Nachtstunden. Generell ist es notwendig in den Sommermonaten häufiger zu füttern. Dabei sollte abends mehr vorgelegt werden als morgens. Auf keinen Fall sollte Futter zwischengelagert werden. Außerdem sollte häufiger Futter rangeschoben werden (möglichst auch nachts) um die Kühe zum Fressen zu animieren. Schließlich ist dem Silomanagement besondere Aufmerksamkeit zu schenken, so sollte der Vorschub am Silo angepasst werden. Reichen im Winter 1,5 m/Woche, sollten im Sommer 2,5 m/Woche angestrebt werden. Darüber hinaus empfiehlt es sich speziell in den Sommermonaten, sofern möglich, die Silos an der Nordseite zu öffnen.

Mineralverlust ausgleichen

Zur Fütterung gehört nicht zuletzt die Versorgung mit Wasser und Mineralstoffen. Bereits bei Temperaturen um die 25 °C werden 1,5 Liter Wasser je Stunde ausgeschwitzt. Dies führt zwangsläufig auch zu einem verstärkten Mineralstoffverlust. Zudem sollte Mineralfutter mit höheren Gehalten an Vitamin E und Selen eingesetzt werden, um den erhöhten Bedarf an Antioxidantien zur Vermeidung von oxidativem Stress Rechnung zu tragen. Der um etwa 15 % erhöhte Bedarf an Natrium kann durch Viehsalz gedeckt werden. Durch den erhöhten Wasserbedarf (5l/kgTM) empfiehlt es sich, zusätzliche Tränken bereitzustellen bzw. verfügbare Tränkefläche zu vergrößern, sowie die Tränken häufiger zu kontrollieren und zu reinigen.

Zusammenfassung

Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, um Milchkühen mit höherren Leistungen den Sommer angenehmer zu machen. Wichtig ist, neben der Wasser- und Mineralstoffversorgung das Zusammenspiel von optimierter Haltung, Rationsoptimierung und Futterdarbietung. In der Fütterung ist insbesondere zu beachten, dass es einen Paradigmenwechsel zu den üblichen Forderungen gibt. Es muss stärker in den Grenzbereich der Wiederkäuerfütterung gegangen werden und mehr als gewohnt die Darmfütterung in den Mittelpunkt der Versorgung rücken. Durch mehr Duchflussnährstoffe wie stabile Fette, beständige Stärke und Protein sowie hochverwertbare Mineralstoffergänzungen wird die Rationsoptimierung nicht nur anspruchsvoller sondern auch erfolgreicher. Dass dies auch wirklich gelingt verlangt eine allmähliche Anpassung der Milchkühe mit steigenden Außentemperature, um das Pansenmilieu schrittweise zu adaptieren, und eine stetige und sensible Kontrolle des Fütterungserfolges in Phasen der grenzwertigen Versorgung.
Prof. Dr. Olaf Steinhöfel, LfULG, Köllitsch
Dr. Tobias Gorniak, Berg + Schmidt GmbH & Co. KG, Hamburg

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